Die Geschichte des Bogenbauens in Österreich ist jung und jene des ersten Bogenbauers Österreichs begann damit, dass es bis zum Jahr 1997 in der stolzen Musikstadt Wien erstaunlicherweise keinen gegeben hat. Thomas Gerbeth lebte damals noch in Deutschland und war gerade auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich selbständig machen konnte. Hauptkriterium: Noch keine „hohe Dichte“ an KollegInnen. Fast beiläufig ließ sein damaliger Chef Klaus Grünke die entscheidende Information fallen. Also fragte Gerbeth seine Frau, was sie davon halte nach Wien zu ziehen. „Warum nicht? Ist eine schöne Stadt, da gibt´s viel Musik!“, erinnert sich Anke Gerbeth an ihre spontane Reaktion.
Gesagt, getan. So einfach wie die Entscheidung war der Weg nach Wien aber nicht. Der Grund klingt fast wie ein schlechter Scherz: „Als sie das Berufsbild des Streich- und Saiteninstrumenterzeugers entwickelt haben, haben sie schlicht und ergreifend den Bogenmacher vergessen – weil es einfach bis dato niemanden gab, der in Österreich diesen Beruf erlernt hat“, erzählt Gerbeth. Dies erscheint umso paradoxer, als er sein Handwerk in der DDR gelernt hat, und zwar in Markneukirchen im sächsischen Musikwinkel.
„Der Bogen ist ja schon fertig, ich muss bloß das wegnehmen, was zu viel ist. Wenn ich was zu viel weggenommen habe, habe ich ein Problem. Das ist aber nicht von mir, das kommt von Michelangelo.“ Thomas Gerbeth
In Österreich wurden die beiden sogleich mit den Mühen der Bürokratie zur damaligen Zeit konfrontiert. „Nachsicht der Nachweispflicht laut Paragraph 373c der Gewerbeordnung von 19hundert-keine-Ahnung-was zur Ausübung des Saiten- und Streichinstrumenten-Erzeuger-Handwerks eingeschränkt auf Bogenbau“, zitiert Anke Gerbeth und muss tief Luft holen. Sie haben die Anekdoten bereits so oft erzählt, dass sie Passagen wie diese immer noch auswendig können. Gemeinsam überwanden sie die bürokratischen Hürden und im Juli 1997 konnte es losgehen mit der Herstellung der ersten Geigenbögen in Österreich.
Neben so manchem Austriazismus musste Gerbeth auch noch andere neue Dinge lernen. In Wien war man anscheinend andere Bögen gewohnt als jene, die er bis dahin herstellte. „Der eine Bogen kam zurück, weil er zu fest war, ein anderer, weil er zu weich war. Sie waren teilweise viel flexibler, teilweise anders gebogen.“ Das aber spornte ihn an und er überlegte fieberhaft, wie er Wünsche seiner neuen KundInnen befriedigen könnte. Sein Schwiegervater gab ihm den entscheidenden Hinweis, so dass er ein Gerät „zur Festigkeitsmessung“ entwickeln konnte. Gerbeth baute die Messinstrumente, der Schwiegervater – ein Informatiker – steuerte das Computerprogramm bei. „Das war der Beginn von dem, was ich jetzt anbieten kann: Bögen so zu kopieren, dass sie von dem Original nur eine sehr geringe Abweichung haben.“ Inzwischen habe er seine Technik so perfektioniert, dass auch erfahrene MusikerInnen die Kopie nicht mehr vom Original unterscheiden können, wie er nicht ohne Stolz erzählt.
„Wir haben über 40 Bogen bei den Wiener und Berliner Philharmonikern. Das ist schon eine ganze Menge. Wir bedienen aber genauso gern einen jungen Musiker, der im Aufbau begriffen ist, wie einen Starsolisten. Das ist uns letztlich wurscht, und wir fragen auch nicht nach.” Thomas Gerbeth
Gerbeth kommt bei all dem zu Gute, dass er aus einer Familie von Berufsmusikern kommt und selbst Geige spielt. Zum Geigenbogenbauen kam er, weil er „zu faul war zum Geige üben“, sagt er schmunzelnd. Während Gerbeth seine Anekdoten erzählt, werkt er an einem Bogen. Immer wieder hält er ihn gegens Licht, um Unebenheiten zu entdecken, die es in Feinarbeit auszubessern gilt.
Währenddessen arbeitet Anke Gerbeth an der Behaarung für einen Cellobogen. Mit ihren Fingern „durchkämmt“ sie ein Büschel Haare – „idealerweise die Schwanzhaare von weißen Hengsten“ – und sortiert jene aus, die in ihrer Hand hängen bleiben. „Wenn eines so rau ist, dass es beim Spielen stören würde, gebe ich es raus“, erklärt sie. Die Haare werden dann auf den Bogen gespannt, ihre typische, breite Form bekommen sie allein durch die Spannung. Lediglich zum Schluss werden sie mit Kolophonium eingelassen, einem Harz, das die Saiten in Schwingung bringt und so den Ton erzeugt.
„Wir sind jetzt Luftlinie 6 Kilometer von der Oper entfernt. Das ist kürzer, als der Kuhdamm lang ist.“ Thomas Gerbeth
Heute haben die beiden Gerbeths ein schmuckes Häuschen im 12. Bezirk, in dem sie gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter Gerhard Seifert in der Werkstatt Geigenbögen bauen. Kennengelernt haben sich Thomas und Anke Gerbeth im Übrigen in einem Orchester. Sie haben inzwischen zwei Kinder und arbeiten in der Werkstatt Hand in Hand.
Trotz all der Hürden am Anfang haben sie es nie bereut, dass sie nach Wien gekommen sind. Nicht zuletzt sind sie begeistert, dass die Musikstadt Wien auch tatsächlich hält, womit so gerne geworben wird: „Es ist einfach unglaublich, wie viele Leute nebenher musizieren, Quartett spielen und Hausmusik machen“, schwärmt Anke Gerbeth. Die Tatsache, dass sie hier auch die Wiener Philharmoniker vor der Tür haben, habe auch dazu beigetragen, dass er sein Handwerk verfeinern konnte, meint Thomas Gerbeth. Und all jene, die hierzulande Streichinstrumente spielen, können nun ihre Bogen auch in Österreich kaufen. In Meidling, um genau zu sein. (Sonja Fercher)